Kognitive Verhaltenstherapie: Lernen, besser mit Tinnitus zu leben

Mann im Gespräch mit Psychologen: Bei Tinnitus hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt.

Die kognitive Verhaltenstherapie ist (neben Hörgeräten bei Hörminderung) die einzige leitlinienbasierte Behandlungsform bei chronischem Tinnitus.1 Sie kann die Ohrgeräusche zwar nicht komplett beseitigen, unterstützt aber dabei, besser mit ihnen zurechtzukommen. Klassischerweise wird die Behandlung von einem Psychotherapeuten begleitet, Betroffene können mittlerweile aber auch per App auf verhaltenstherapeutische Übungen zurückgreifen.

Überblick:

Wie funktioniert die kognitive Verhaltenstherapie?

Bei der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) handelt es sich um eine spezielle Form der Psychotherapie. Anders als bei der klassischen Psychoanalyse liegt der Schwerpunkt jedoch weniger auf der lebensgeschichtlichen Entwicklung von Patienten und auf deren Vergangenheit. Vielmehr setzt die kognitive Verhaltenstherapie auf eine Problemlösung im Hier und Jetzt.

Im Vordergrund steht die "Hilfe zur Selbsthilfe" und, dass der Patient möglichst schnell sein Leben wieder ohne Hilfe eines Therapeuten bewältigen kann. Trotz der Konzentration auf das Hier und Jetzt, wird die Vergangenheit eines Patienten bei der kognitiven Verhaltentherapie nicht gänzlich außer Acht gelassen. Die Verhaltenstherapie wird vor allem bei Depressionen sowie Angst- und Zwangsstörungen angewandt, hat sich aber ebenso für die Behandlung von Tinnitus oder chronischen Schmerzen bewährt.

Der Begriff kognitiv" ist vom lateinischen Wort "cognoscere" abgeleitet, was übersetzt "erkennen" bedeutet. Deshalb ist die Grundidee der kognitiven Verhaltenstherapie das Bewusstmachen von

  • negativen Einstellungen,
  • emotionalen Bewertungen sowie
  • Denk- und Verhaltensmustern.

Der Gedanke dahinter: Nicht die Dinge selbst erschweren das Leben, sondern die Bedeutung, die ihnen beigemessen wird. Ziel ist es deshalb, das eigene Verhalten zu überprüfen und durch hilfreiche Einstellungen zu ersetzen. Darauf aufbauend erlernen Patienten Methoden, um die neugewonnenen Denkweisen auch im Alltag umzusetzen.

In neueren Formen der kognitiven Verhaltenstherapie steht vor allem die Ausrichtung an den eigenen Werten und Bedürfnissen des Patienten im Mittelpunkt. Es geht weniger darum, unangenehme Gefühle und „negative“ Gedanken zu bekämpfen, als vielmehr Haltungen und Verhalten zu stärken, die als sinnstiftend und wertvoll erlebt werden.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Bekämpfung von Gefühlen und Gedanken diese nur noch verstärken kann. Eine moderne, kognitive Verhaltenstherapie setzt den Fokus darauf, dass auch diese zum Leben gehören, deren Akzeptanz allerdings der Schlüssel zu einer Veränderung ist und dies erst die Stärkung lebensbejahender Einstellungen ermöglicht. 

Stress und Tinnitus

Hast Du gewusst, dass auch die Psyche Deine Ohrgeräusche beeinflussen kann? Tinnitus stresst und Stress verstärkt wiederum die Beschwerden!

Wie kann die kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus helfen?

Etwa 2,7 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einem chronischen Tinnitus.2 Das bedeutet, dass sie schon länger als drei Monate ein dauerhaftes Piepen, Rauschen oder Summen wahrnehmen.3 Behandlungsansätze wie Medikamente, die beispielsweise bei einem akuten Tinnitus angewendet werden, bieten jedoch kaum Aussicht auf Heilung. Daher hat sich das Ziel der Tinnitus-Behandlung vor allem auf die langfristige Verringerung der Tinnitusbelastung verlagert. Studien haben gezeigt, dass der psychologische Ansatz hier sehr wirksam ist: Die aktuelle Leitlinie eine starke Empfehlung für eine speziell auf den Tinnitus ausgerichtete kognitive Verhaltenstherapie aus.2

Alle Therapiemöglichkeiten im Überblick

Kognitive Verhaltenstherapie bei Tinnitus in der Praxis

Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass Menschen mit dauerhaften Ohrgeräuschen schnell in einen Teufelskreis geraten: Die negativen Emotionen gegenüber dem Tinnitus (zum Beispiel Sorgen und Befürchtungen) führen dazu, dass den Begleittönen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie folglich noch mehr Raum im Leben der Betroffenen einnehmen. Das können beispielsweise Gedanken sein wie:

  • "Ich kann nichts gegen den Tinnitus machen. Ich fühle mich hilflos!"
  • "Was ist, wenn mir aufgrund der Ohrgeräusche Fehler auf der Arbeit passieren? Im schlimmsten Fall kann mich mein Chef kündigen."
  • "Warum muss ausgerechnet ich unter einem Tinnitus leiden?"
  • "Muss ich aufhören, Musik zu machen?"
  • "Bin ich ernsthaft krank?"

Genau diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen. Hierbei hilft oftmals bereits gezieltes Nachfragen vom Arzt oder Therapeuten, etwa:

  • "Wie hast Du es bisher geschafft, mit dem Tinnitus im Alltag zurechtzukommen?"
  • "Kannst Du Dich an konkrete Situationen erinnern, in denen es Dir besonders geglückt ist, mit dem Tinnitus umzugehen?"

Auf Basis dieser Antworten kannst Du mit dem Behandler gemeinsam hilfreiche Strategien entwickeln, um hinderliche Gedanken in positive zu verändern. Meist sind auch Übungen zur Entspannung oder Stressbewältigung Bestandteil der Therapie.4

Tipp

Die Veränderung der persönlichen Einstellung ist schwierig und erfordert oft viel Geduld. Aber die kognitive Verhaltenstherapie kann nur zu einer langfristigen Verringerung der Belastung führen, wenn Du dafür offen bist und auch zwischen den Sitzungen an den Problemen arbeitest. Du wirst sehen, die Mühe lohnt sich! Auf lange Sicht wirst Du so zu Deinem eigenen Therapeuten: Du lernst eigenständig, Probleme im Zusammenhang mit dem Tinnitus zu erkennen und kannst diese mithilfe der erlernten Strategien selbst bewältigen.

Dazu gehört etwa eine Dekatastrophisierung des Tinnitus, also dessen Umbewertung. Die Aufmerksamkeit des Patienten soll sich weniger auf die Ohrgeräusche konzentrieren, sondern auf das, was uns gut tut und was unserem Leben Vitalität verleiht.

Es gilt, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, auch mit dieser großen Anforderung fertig zu werden und sie zu überwinden. Der Tinnitus ist meist die Folge einer ungesunden Entwicklung – dabei stehen oft dauerhaft die psychischen Belastungen und die Ressourcen, sie zu bewältigen, im Ungleichgewicht. In der Therapie geht es daher vor allem darum, psychische Belastungen abzubauen und den Umgang mit Belastungen zu verbessern.

Eine Tinnitus-Therapie sollte auf jeden Fall die gesamte Persönlichkeit in den Blick nehmen, da die Ursachen des Ohrgeräusches oft „multifaktoriell“ sind. Zentral dabei ist die Klärung, welche Haltungen, Einstellungen und Gefühle den dauerhaften Stress verursachen, förderliche Lebenshaltungen zu entwickeln und die Einstellung gegenüber dem Tinnitus zu verändern

Verhaltenstherapie: Selbsthilfeprogramme bei Tinnitus

Obwohl die kognitive Verhaltenstherapie mittlerweile als wichtiger Baustein in der Tinnitus-Behandlung gilt, erhalten nur wenige Betroffene eine entsprechende Therapie. Psychologen besitzen in der Regel nur wenige Kenntnisse über Tinnitus und HNO-Ärzten fehlt die psychologische Expertise. Verhaltenstherapeuten (Psychologen mit verhaltenstherapeutischer Ausbildung) gibt es nur wenige, weshalb oftmals mit langen Wartezeiten zu rechnen ist.

In den letzten Jahren sind deshalb immer mehr Selbsthilfeprogramme (meist über das Internet) entstanden. Aktuelle Studien zeigen, dass diese genauso effektiv wie ambulante Gruppen- oder Einzeltherapien sind.5,6

Kalmeda Tinnitus-App: Verhaltenstherapie für das Smartphone

Als Begleitung der fachärztlichen Therapie eignet sich beispielsweise die Kalmeda-App. Sie wurde von Ärzten und Psychologen gemeinsam mit dem Ziel entwickelt, das Leiden von Tinnitus-Patienten auf Basis einer kognitiven Verhaltenstherapie zu lindern.

Vorteile der Kalmeda-App:

  • Sie wurde als eine der ersten Gesundheitsanwendungen (DiGA) vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen.
  • Die Kalmeda-App kann auf Rezept ohne Zuzahlung verschrieben werden.
  • Die Therapie orientiert sich an den aktuellen Empfehlungen der Leitlinie.
  • Bei der Datensicherheit werden höchste Sicherheitsstandards eingehalten.
  • Über die App ist jederzeit ein Arztkontakt per Mail möglich.
  • Die Nutzung ist geräteübergreifend und ohne Internetverbindung möglich.

Weitere Infos zur Kalmeda-App

App-Nutzer lernen im Rahmen eines fünfstufigen Übungsprogramms mit jeweils neun Etappen den richtigen Umgang mit ihrem Tinnitus. Die Stufen umfassen folgende Punkte:

  • Aufmerksamkeitslenkung
  • Entspannung
  • Achtsamkeit
  • Akzeptanz
  • Selbstwirksamkeit

In einem Therapieplan hast Du die Möglichkeit, Einstellungs- und Verhaltensänderungen festzuhalten. Zudem bekommst Du konkrete Hilfen ("Werkzeugkoffer") an die Hand. Ergänzt wird das Angebot durch Entspannungsübungen und das Modul "Wissen", indem Du wichtige Informationen über Tinnitus erhältst. Zudem kannst Du mit dem "Sound"-Feature Alltagsgeräusche wie Windrauschen oder Regenprasseln abspielen, die helfen vorübergehend von den störenden Tinnitus-Tönen abzulenken und Dich in eine positive Grundstimmung zu versetzen.